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31.01.16 –
„Lügenpresse halt die Fr****“
- Nazi-Propaganda findet ihren Weg in unseren alltäglichen Sprachgebrauch -
Die „Lügenpresse“ – das Unwort des Jahres 2014, erfreut sich immer größerer Beliebtheit.
Der Vorwurf: Die Berichterstattung der Medien sei lügenbehaftet.
Dieser diffuse und schwer begründbare Vorwurf wurde in letzter Zeit vor allem von der Bürgerinitiative Pegida gepredigt.
Die große Angst vor Überfremdung, Islamisierung und vor zu viel politischer Toleranz gegenüber Asylbewerbern drängt die Pegida- Anhänger wohl zu der Annahme, die deutsche Berichterstattung sei zu linksliberal und halte wichtige Informationen zurück oder noch radikaler gesagt, sie erzähle Unwahrheiten.
Die Vorsitzende der sprachkritischen Aktion „Unwort des Jahres“ und Professorin für germanistische Linguistik an der TU Darmstadt Nina Janich äußerte dazu:
„Mit dem Ausdruck „Lügenpresse“ werden Medien pauschal diffamiert. (…) Eine solche pauschale Verurteilung verhindert fundierte Medienkritik und leistet somit einen Beitrag zur Gefährdung der für die Demokratie so wichtigen Pressefreiheit.“
Doch „Lügenpresse“ ist natürlich keine Wortschöpfung der Pegida, sondern existiert schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Das erste Mal kam es auf, als konservative Katholiken es gelegentlich gegen die liberale Presse im Zuge der bürgerlichen Revolutionen anwandten.
Doch seine Hochzeit fand das Wort im Nationalsozialismus.
Die TAZ- Online schreibt dazu:
„Die Nazis übernahmen den Begriff und luden ihn antisemitisch und antikommunistisch auf, um missliebige Meinungen den außenstehenden Feinden der ‚Volksgemeinschaft’ zuzuschreiben – und andersherum die Kritiker auszuschließen. Die ‚Lügenpresse’ war ein Lieblingswort von Joseph Goebbels. Er verwendete es, um Kritiker zu denunzieren (‚Ungehemmter denn je führt die rote Lügenpresse ihren Verleumdungsfeldzug durch’), Alfred Rosenberg konstruierte die ‚Lügenpresse’ als Gegensatz zum reinen Willen des Volkes und dessen Darstellung. Seither gehört der Begriff zum Standardvokabular der extremen Rechten in Deutschland.“
Heute begegnet man dem Wort vor allem auf Pegida-Demonstrationen. Gerade die, die sich so vehement dagegen wehren als Rechtspopulisten abgestempelt zu werden, bedienen sich eines Wortes, welches von Nationalsozialisten derart geprägt wurde. Für den Berliner Soziologen Dieter Rucht ist Pegida ein neues Phänomen. Die Unterscheidung zwischen rechts und links sei zweifelhaft geworden. 20 Prozent der Bevölkerung (man mag dieser Zahl Glauben schenken oder nicht) habe kein Vertrauen mehr in die Medien. Der Vorwurf „Lügenpresse“ drücke eine gesellschaftliche Stimmung aus.
Von Rechts zur Mitte
Doch das Wort ist längst kein rechtspopulistisches Phänomen mehr. Es findet (leider) seinen Weg aus dem rechten Milieu hin in unseren Alltag. Selbst CSU-Mitglieder sprechen bereits von „Lügenpresse“. Vor allem nach den Vorkommnissen in der Kölner Silvesternacht. Hans-Peter Friedrich, seit 2014 stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag für Europapolitik und Europa Koordination, sprach von einem „Skandal“, weil es Tage gedauert hätte, bis die öffentlichen Medien über die Ereignisse in Köln berichtet hätten. Mit einem „Schweigekartell und Nachrichtensperren lassen sich die Folgen der unkontrollierten Zuwanderung jedoch nicht lösen“, so Friedrich weiter. Auch CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer kritisierte, die Medien hätten der Bevölkerung bewusst Informationen vorenthalten.
Spiegel- Online wehrte sich daraufhin:
„Friedrich erwähnte dabei nicht, dass lokale Medien sehr wohl frühzeitig über die Vorfälle berichtet hatten. Dass die Polizei selbst zunächst von einer friedlichen Silvesternacht gesprochen hatte. Dass das ganze Ausmaß der Übergriffe erst mit Verzögerung bekannt wurde und sich dann auch in den überregionalen Medien niederschlug. Dass dann sehr wohl auch jene Zeugenaussagen wiedergegeben wurden, die die mutmaßlichen Täter vor allem dem nordafrikanischen oder arabischen Raum zuordnen. Nicht berücksichtigt wird bei der CSU-Kritik auch, dass es zu den Standards der journalistischen Arbeit gehört, nicht zu spekulieren und auf Verdacht zu berichten, worauf unter anderem bereits der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hingewiesen hatte.“
Warum aber misstrauen die Menschen den Medien?
Günter Bentele, emeritierter Professor für PR[S1] und Öffentlichkeitsarbeit an der Uni Leipzig, hat die Auffassung, dass sich die Medienrezeption verändert hat:
„Niemand ist in der Lage, alles wahrzunehmen. Also sucht man sich die Medien, die möglichst nah an dem sind, was man selbst denkt.“
Hier liegt auch der Ursprung der sogenannten Filterblasen, wie es Eli Pariser in seinem Buch „The filter bubble : what the Internet is hiding from you“ nannte. Dabei geht es um die Personalisierung vor allem im Internet, die nicht auf den allgemein interessierten Staatsbürger zielt, sondern auf den selbstzufriedenen Konsumenten, dem ein starkes Ich nur eingeredet wird. Denn ihm wird dabei nicht nur die Kontrolle seines Konsums genommen, sondern er hat auch nur noch eine eingeschränkte Sicht auf das Internet. Einem wird nur das gezeigt, was der eignen Meinung entspricht, als würde man sich in einer Blase befinden und wäre für alles, was sich außerhalb dieser Blase befände, blind.
„Rezipiert man dagegen ein Medium, das eine andere Position vertritt, als man selbst, ist man leichter geneigt zu sagen: Das Medium berichtet einseitig.“
Bentele sieht eine Diskrepanz zwischen dem, wie die Presse die soziale Wirklichkeit darstellt und wie das Publikum diese wahrnimmt.
Mit diesem Hintergrund sagt das Wort „Lügenpresse“ wohl mehr über die Menschen aus als über die Presse an sich. Das Wort wird zu pauschal verwendet. Genauso wenig wie alle Flüchtlinge als Terroristen abgestempelt werden möchten, möchten die Medien pauschal als Lügner dargestellt werden. In Deutschland gibt es genügend Möglichkeiten sich von linksliberalen bis zu rechtspopulistischen Ansichten zu informieren. Keinem wird vorgeschrieben etwas blind zu glauben und um Immanuel Kant zu zitieren:[S2]
„Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“
Wir müssen schon selbst herausfinden, was die Wahrheit ist. Aber was ist schon Wahrheit? Und nur um ein letztes Mal einen Klassiker zu zitieren:
„Es gibt ebenso wenig hundertprozentige Wahrheit wie hundertprozentigen Alkohol“(Sigmund Freud).
Keine der Medien würde behaupten, die Wahrheit zu sprechen. Und wer weiß sie auch schon? Die Pegida etwa? Sicherlich gibt es einseitige Berichtserstattung und natürlich erhalten viele Themen nicht die Aufmerksamkeit, der sie bedürfen. Doch handelt es sich dabei weniger um Lügen als vielmehr um falsche Prioritätensetzung. Das Wort Lügenpresse war und ist nationalsozialistische Propaganda und sollte im heutigen Sprachgebrauch keinen Eingang mehr finden. Chefredakteur des Tagesspiegels Lorenz Maroldt sagte: „Journalisten sollten außerdem die Offenheit haben, zu sagen: Nicht alles, was ich hier schreibe, ist der Weisheit letzter Schluss“.
Die Bildung in Deutschland ist gut genug, um nicht alles unkommentiert stehen zu lassen. Vielmehr sollte man sich ein breites Spektrum an Meinungen einholen und anlesen, was in der vielfältigen Medienpräsenz Deutschlands nicht allzu schwierig sein sollte. Egal wie gut ein Journalist ist, er ist niemals in der Lage uns umfassend zu bilden und zu informieren. Wir müssen selbst in der Lage sein die leeren Stellen zu füllen, die der Journalismus nicht zu füllen vermag.
Können Medien objektiv sein und wollen wir das überhaupt?
Was heißt es eigentlich objektiv zu sein? Im Internet finden sich zahlreiche Definitionen zu Objektivität in verschiedenen Bereichen und alle haben sie gemeinsam, dass eine Aussage oder Beschreibung unabhängig von subjektiven Einschätzungen sein soll.
Zunächst klingt es ganz simpel, doch die Realität sieht anders aus.
Laut Wikipedia sind sich Medienforscher einig, dass es in der Berichterstattung immer zu einer Verzerrung der Realität kommt. Nicht nur seitens des Rezipienten, auch die Medien selbst können sich nicht vor subjektiven Einflüssen schützen. Das hat verschiedene Gründe:
Die Presse ist finanziell vom Staat oder von Werbepartnern abhängig. Artikel können allein dadurch verzerrt sein, dass die Aussagen des Journalisten sich eher am Werbepartner orientieren, als an einer objektiven Mitte. Ziel ist es die Auflage mit möglichst polarisierenden Meinungen zu steigern. Letztendlich ist der Journalismus ein Geschäft, in dem die Medien zueinander in Konkurrenz treten.
Jeder ist um die beste Auflage bemüht. Jeder will die Leser für sich gewinnen. Jedes Medium ist abhängig von seinen Quellen. Doch auch eine Quelle manipuliert die Information. Gehirn, Augen, Ohren, Kamera oder der Journalist selbst verzerren die Information und selektieren sie.
Durch die Selektion kommt es darauf an, welchen Fokus sich der Journalist gesetzt hat. Er muss selektieren, da es unmöglich ist alles ungefiltert aufzunehmen und zu veröffentlichen. Er sucht sich die (für ihn) wichtigsten Punkte heraus, die je nach Journalist variieren können. Weshalb es für den Rezipienten wichtig ist, sich mehrere Meinungen anzusehen/ -hören.
Wollen wir überhaupt objektive Medien?
Die Antwort ist ebenso einfach wie naiv. Nein, das wollen wir nicht. Wir rezipieren gerne Dinge, die uns gefallen und noch lieber Dinge, die uns nicht gefallen. Nur so kann man sich seine eigene Meinung bilden. Wir lieben es überrascht zu werden und sind neugierig auf den neuesten Klatsch und Tratsch. Die Medien sind nicht länger nur eine reine Informationsquelle, sie sind für uns zum Unterhaltungsmedium geworden. Weshalb es umso wichtiger ist, stets zu hinterfragen und nicht alles kommentarlos hinzunehmen.
Satire, Journalistenkommentare, Eigendarstellungen – Das sind die Dinge, die für uns interessant sind und Stoff für Diskussion bieten. Bestimmte Medien wären gar nicht möglich, wenn sie objektiv sein müssten.
Von Marie Baum
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