Migration hat viele Gesichter

Warum muss auf Migration immer gleich Integration folgen? Müssen wir Integration neu definieren? Und warum dürfen wir überall hin reisen, während wir es der Mehrheit der Weltbevölkerung verbieten zu uns zu kommen? Eine Lesung mit anschließender Diskussion über Flucht und Migration zeigte neue Perspektiven auf.

29.04.16 –

Migration hat viele Gesichter: Der Titel unserer Lesung passt auch auf die allermeisten Menschen, insbesondere auf diesem Bild: Ob wir nun aus beruflichen Gründen umziehen, aus einer Diktatur "ausreisen" oder vor Krieg und Verfolgung fliehen, so verschieden die Ursachen auch sein mögen, dass sich Menschen in eine andere Umgebung aufmachen - all diese Menschen eint, dass sie ihr Leben selbst in dir Hand nehmen und gut leben wollen.

Dort, wo diese Menschen ankommen, sollen sie sich integrieren, so die momentan sehr oft zu hörende Forderung. Aber ist das überhaupt der richtige Weg beziehungsweise stimmt der Begriff? Integration wird meist nur von Migrant*innen gefordert. Dabei sind die Menschen, auf welche Migrant*innen in ihrer neuen Umgebung treffen, mindestens genauso gefordert. Migration geht uns alle an. Und Integration bedeutet nicht, seine Werte und sich selbst aufgeben. Auf keiner Seite.

So weit ein kleiner Ausschnitt aus der Diskussion mit Autorin Renate Hürtgen (Mitte) und Angelika Birk (2.v.l.) über Flucht und Migration gestern und heute. Renate Hürtgen hatte zuvor aus ihrem Buch "Ausreise per Antrag" gelesen, indem sie Geschichten über Menschen erzählt, welche die DDR verlassen haben.

In dem Buch definiert die Autorin fünf Typen von Ausreisewilligen. Der Typ "Wirtschaftsflüchtling" findet sich nicht darunter. Am häufigsten vertreten sind Menschen, die einen Neuanfang wagen wollen. Sie sind unzufrieden, dass es in ihrem Betrieb aufgrund der Mangelwirtschaft nicht voran geht. Sie wollen im Beruf und auch im Leben etwas erreichen, sich selbst verwirklichen. Nicht anders verhält es sich mit den vorzugsweise jungen Menschen, die heute aus anderen Ländern zu uns kommen: Sie wollen in Deutschland arbeiten, sich hier eine Existenz aufbauen und einfach gut leben.

Eine weitere Parallele zwischen DDR-Ausreisenden und den heutigen Migranten zeigt sich bei den Erwartungen, welche sie an das Zielland haben. DDR-Ausreisewilligen war bewusst, dass sie im Westen nicht das Paradies erwartet, dass sie dort hart arbeiten, sich durchbeißen müssten, dass es Rückschläge geben würde, das wussten sie von Bekannten, die den Schritt schon gewagt hatten. Auch eine vorübergehende Arbeitslosigkeit könnte drohen. Alle, die Renate Hürtgen befragt hatte, malten ein realistisches Bild von der alten Bundesrepublik. Von der Ausreise aus der DDR hat sich deswegen aber niemand abhalten lassen. Für die Migranten von heute dürfte ähnliches gelten.

Die Integration der DDR-Ausreisenden in der Bundesrepublik sei weitgehend geglückt, so Renate Hürtgen weiter. Allerdings in dem Sinne, wie es die westdeutsche Gesellschaft von den Ausreisenden erwartet habe. Bei vielen DDR-Ausreisenden ging das so weit, dass sie in der neuen Umgebung ihre Herkunft verleugneten. In der westdeutschen Gesellschaft gab es Vorbehalte, es gab wenig Interesse an dem früheren Leben der DDR-Flüchtlinge. Integration war eine einseitige Sache. Ähnlich sehen es viele Politiker*innen heute auch: So fordern manche, denen die Rechte von Frauen sonst nicht so wichtig sind, nun von Einwanderern, dass sie insbesondere die Frauen in Deutschland mit Respekt behandeln sollen. Und so ist es bei vielen Themen: Von Flüchtlingen wird mehr erwartet, als von der eigenen Bevölkerung: Sie sollen perfekt deutsch sprechen, das politische System in- und auswendig kennen, sämtliche Höflichkeitsfloskeln beachten und so weiter. An sich selbst würde man solche Forderungen nicht stellen.

In der anschließenden Diskussion appellierten die Beteiligten dafür, heute nicht diesselbe Fehler zu machen wie bei vorangegangenen Migrationswellen. Anstatt von den Migranten zu fordern, sich in die neue Umgebung einzufügen, ja unterzuordnen, müssen wir deren kulturellen Reichtum nutzen. Wer Migration verhindert, verhindert Chancen. Und schließlich müssen wir uns fragen: Warum reisen wir in die entferntesten Länder und maßen uns gleichzeitig an, anderen vorzuschreiben, wer reisen darf und wohin. Alle Menschen sollen das Recht haben aufzubrechen und hinzugehen, wohin sie wollen. Wir brauchen ein Recht auf Aufbruch und Selbstbestimmung für Alle!

Wir danken Renate Hürtgen für den interessanten und wertvollen Input, mit dem wir in weitere Diskussionsrunden gehen wollen.

Wer das Buch lesen möchte, findet hier weitere Infos dazu:

www.v-r.de/de/ausreise_per_antrag_der_lange_weg_nach_drueben/t-0/1011427/

Kategorie

Migration

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