Eine Geschichte der Krise

Der Soziologe Wolfgang Streek...

24.05.12 –

Der Wirtschaftssoziologe Wolfgang Streeck hat kürzlich eine überzeugende Erklärung für die aktuelle Krise präsentiert, die ich euch hier vorstellen möchte.1 Grundsätzlich geht er davon aus, dass marktwirtschaftlich organisierte Demokratien und der Kapitalismus seit dem 2. Weltkrieg in einem permanenten Konflikt um soziale und finanzielle Teilhabe stehen. Er stellt sich dabei gegen monokausale Argumentationstechniken, welche außen vor lassen, dass nahezu alle marktwirtschaftlichen Demokratien ihren Teil zur Entstehung der derzeitigen Krise beigetragen haben.

Bis Ende der 60er-Jahre funktionierte das soziale Versprechen um finanzielle Teilhabe. Es war die Zeit des Fordismus, der mithilfe eines anhaltenden Wachstumsschubs, geringer Arbeitslosigkeit und hohen Lohnabschlüssen finanzielle Teilhabe ermöglichte. Mit dem Absinken des Produktivitätszuwachses und sinkender Gewinne kam es zu steigenden Arbeitslosenzahlen und daraus resultierenden höheren Sozialausgaben.

Die Staaten versuchten die negative soziale Folgen zu reduzieren und erhöhten deswegen die Sozialausgaben. Die Kosten für gestiegenen Sozialausgaben finanzierten sie mithilfe von Inflation, die aus weiterhin steigenden Löhnen entstand. Gegen diese Politik wuchs Anfang der 70er-Jahre der Widerstand durch die Gläubiger (Banken und Vermögende), da deren Profite von der Inflation aufgefressen wurden. In der Folge kamen Regierungen an die Macht, die sich der Inflationsbekämpfung verschrieben hatten. Thatcher bekämpfte beispielsweise die Gewerkschaften um Preissteigerungen durch Lohnzuwächse zu verhindern. Gleichzeitig begann der Siegeszug des Monetarismus, welcher die Inflation mittels der Kontrolle der Geldmenge reduzieren wollte. Im Sinne dieser Lehre begannen einige europäische Zentralbanken die Zinsen zu erhöhen. Die Folge waren geringere Lohnzuwächse und steigende Arbeitslosenzahlen.

Der daraus resultierende Anstieg der Sozialausgaben wurde ab Mitte der 80er-Jahre durch eine Erhöhung der Staatsverschuldung ausgeglichen und so der Versuch unternommen der Versprechen nach sozialem Ausgleich wenigsten zum Teil noch einhalten zu können. Ende der 90er-Jahre waren viele Staaten in einer schwierigen Situation. Sie hatten eine hohe Arbeitslosigkeit verbunden mit hohen Sozialausgaben, geringem Wachstum und einer wachsenden Staatsverschuldung. In dieser Situation versuchten diese Staaten durch die Deregulierung der Finanzmärkte, Austeritätsprogrammen und dem Ausbau der privaten Verschuldung Wachstum und Binnennachfrage zu generieren. Besonders die angelsächsischen Staaten versuchten das gebrochene Versprechen von finanzieller Teilhabe in Form eines keditfinanzierten Eigenheimes nachträglich doch noch einhalten zu können. Damit wurde die Grundlage für die heute Finanz- und Wirtschaftskrise gelegt.

Die deregulierten Finanzmärkte machten sich den Markt für Hypothekenkredite zu eigen. Hierbei verpackten sie Kredite hoher Bonität mit Krediten niedriger Bonität in einem Finanzprodukt und ließen diese dann von Ratingagenturen mit Bestnoten als "totsicher" bewerten. Diese Finanzprodukte verteilten sich um die ganze Welt bis die Blase platze. Die Finanzmärkte mussten nun von den Steuerzahlern gerettet und die Wirtschaft gestützt werden, weshalb die Staatsverschuldung massiv anstieg und die "Schuldenkrise" geboren wurde.

Die bisher verwendeten Instrumente zu Verminderung des Konflikts zwischen Demokratie und Kapitalismus waren nicht in der Lage die jeweiligen Krisen zu lösen. Mithilfe der Inflation, der Verschuldung oder der Deregulierung der Finanzmärkte versuchte man kurzfristig Probleme auf Kosten der Zukunft zu lösen. Das ist nun nicht mehr möglich! Eine verübergehende Lösung bestände in einer Finanztransaktionssteuer, massiver Besteuerung der großen Vermögen und Einkommen als auch in erheblichen Lohnsteigerungen in Deutschland. Mit diesen Maßnahmen könnten viele Probleme marktwirtschaftlicher Demokratien vermindert werden und das Versprechen nach sozialer und finanzieller Teilhabe wieder eingehalten werden.

Timo Wans

The Crises of Democratic Capitalism. In: New Left Review, no. 71, 2011, 5-29.

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